«Der Bezug zum Tier ist der Bezug zum Leben»

Die Schweizerin Esther Vogt kaufte in Sakkara einen schwer gequälten Esel, um ihn vor seinem Peiniger zu schützen. Der Fall zeigt: Ägypten braucht dringend ein Tierschutzgesetz.

Der Esel hält den Kopf gesenkt, er ist abgemagert bis auf die Rippen, an Hinterbeinen und Rücken klaffen faustgrosse Wunden, das Fell ist an vielen Stellen komplett weggescheuert. In diesem kläglichen Zustand befindet sich das Tier, das in Sakkara vor dem Serapheum einer Schweizer Touristengruppe auffällt. Von einem anderen Eselhalter erfahren sie, dass der Besitzer den Esel absichtlich nur alle zwei Tage füttert, um bei Touristen Mitleid zu erregen und mehr Geld zu kriegen.

Für die Schweizer ist klar; das Tier braucht umgehend medizinische Betreuung und muss dem Besitzer weggenommen werden. Zwar wird der gequälte Esel im Verlaufe des Nachmittags zur Behandlung in die Tierklinik Brooke in Kairo gefahren. Aber es gibt ein Problem: in Ägypten existiert kein Tierschutzgesetz. Der Esel käme nach der Pflege einfach wieder zu seinem Halter zurück – egal wie schwer er ihn misshandelt hat. Esther Vogt, die Leiterin der Schweizer Reisegruppe, dazu: «Wir wussten einfach eines; wir geben dem Peiniger das Tier nicht mehr zurück. Denn bei ihm wäre es weiter gequält worden und schlussendlich gestorben.»

Das diesem Medium vorliegende medizinische Gutachten der Tierklinik stützt ihre Aussage. Laut diesem hätte das Tier nicht mehr lange gelebt. Der Esel war stark unterernährt, wog nur noch die Hälfte seines Normalgewichts. Nebst den zahlreichen Wunden hatte er an beiden Vorderbeinen starke Sehnenentzündungen, weil er zu schwere Lasten tragen musste und die Hufe nicht gepflegt wurden.

Esther Vogt und einige andere Touristen verhandeln in der Hitze von Sakkara lange und hartnäckig mit dem Eselhalter, auch unter Mithilfe der ägyptischen Polizei. Am Abend dann, nach neun Stunden, inklusive eines Besuches auf dem Polizeiposten in Sakkara und einer Strafanzeige gegen den Eselhalter, kauft Esther Vogt das Tier schliesslich für 300 Euro seinem Besitzer ab und tauft es auf den Namen Seraphina. «Ich habe den Esel nicht gekauft, um ihn zu besitzen, sondern dass er sich selber gehört», erklärt Vogt.

Missstände schaden dem Tourismus
Der Fall zeigt: da stimmt etwas grundsätzlich nicht. Eine Europäerin muss in Ägypten ein Tier kaufen, damit es nicht weiter gequält wird, obwohl der Missbrauch offensichtlich ist? «Diesen Zustand kann und soll es in einem Land wie Ägypten nicht geben. Gerade Ägypten, das einmal eine Hochkultur hatte, in der Tiere einen sehr hohen Stellenwert genossen. Einer Hochkultur, die etwas absolut Einmaliges darstellt und mit nichts anderem auf dieser Welt zu vergleichen ist», sagt Esther Vogt.

Sie hat sich intensiv mit dem altägyptischen Erbe auseinandergesetzt und reist seit 15 Jahren zweimal jährlich nach Ägypten. Mit dabei sind immer 80 bis 100 Teilnehmer aus der Schweiz, Österreich, Deutschland und Italien. Vogt bringt den Leuten während diesen Reisen die altägyptische Hochkultur näher und erklärt, was hinter den alten Tempelanlagen steckt. Die Schweizerin dazu: «Diese Kultur birgt ein riesiges Wissen, das für die gesamte Menschheit extrem wichtig ist.»

Aus diesem Grund sei es ihr ein Anliegen, Ägypten zu fördern. So besuchte sie das Land auch in dessen turbulentesten Zeiten, während den Jahren 2011 und 2012, als der Tourismus wegen der politischen Instabilität und steten Unruhen komplett zusammengebrochen war. «Ägypten hat mit Abstand die wertvollsten Kulturgüter der Welt.» Dieses Potential könne das Land nutzen, denn schliesslich wollten Touristen aus aller Welt diese Tempel und Pyramiden sehen. Allerdings werde dieses Potential momentan nicht ausgeschöpft. Im Gegenteil: «Das erste, das man als Tourist beim Gizeh-Plateau sieht, sind gepeinigte Pferde, die während der Fahrt ausgepeitscht werden – im Hintergrund die Pyramiden und die Sphinx. Einen grösseren Kontrast gibt es kaum», hält Vogt fest.

Gerade für Menschen europäischer Länder ist Tierquälerei extrem schockierend, verstörend und abstossend. Sie sind sich gewohnt, dass man Tiere mit Respekt behandelt und gut zu ihnen schaut. «Es kann doch nicht im Interesse Ägyptens sein, dass Besucher des Landes mehr mit gequälten und missbrauchten Tieren beschäftigt sind, als mit den Tempeln und Pyramiden», gibt Vogt zu bedenken. Die Konsequenz: Touristen meiden Ägypten und Ägyptens Tourismus leidet.

Ägypten braucht Tierschutzgesetz
«Diesem Missstand kann nur mit einem Tierschutzgesetz begegnet werden», so Vogt. In Ägypten existiert zwar ein Verfassungsartikel, der besagt, dass Tiere menschenwürdig behandelt werden müssen. Ein Gesetz dazu gibt es aber nicht. Nur drei Artikel auf Verordnungsstufe, die aber weder abschreckende Strafen für Tierquäler vorschreiben, noch die Möglichkeit bieten, einem Besitzer das Tier zu enteignen. Mit der Bezahlung von 200 ägyptischen Pfund kann eine Gefängnisstrafe umgangen werden. Das hinterlässt keinen bleibenden Eindruck bei den Tätern.

«Was es braucht, ist ein Gesetz mit abschreckender Wirkung. Die Strafen für Tierquälerei müssen so drastisch sein, dass sich ein Mensch zweimal überlegt, ob er ein Tier quälen will oder nicht», fordert Vogt.Wie ein solches Gesetz hilft, hat sich jüngst in der Schweiz gezeigt. Dort liess ein Bauer zahlreiche Pferde verhungern, quälte seine Tiere aufs Übelste. Dank dem geltenden Schweizer Tierschutzgesetz wurden dem Bauer über 250 Tiere weggenommen, er erhielt ein Tierhalteverbot und es droht ihm eine drastische Strafe.

«Sobald sich ein Land für den Schutz der Tiere einsetzt, zivilisiert es sich»
Nun, selbst in der Schweiz herrschten nicht immer gute Bedingungen für Tiere. Auch europäische Länder mussten irgendeinmal beginnen, Verantwortung zu übernehmen und die Tiere zu schützen. Nebst der Möglichkeit zur strafrechtlichen Verfolgung und seiner abschreckenden Wirkung hat ein Tierschutzgesetz noch einen anderen entscheidenden Vorteil. Es ist ein Weckruf an die gesamte Bevölkerung und sensibilisiert die Menschen. Die Einführung eines solchen Gesetzes signalisiert: Das Tier hat auch ein Recht! Warum soll für ihn nicht dasselbe gelten wie für den Menschen? «Das Tier ist ein Lebewesen, das genauso fühlt wie der Mensch und das genauso das Recht hat, zu leben wie der Mensch», hält Vogt fest und erklärt weiter: «Der Bezug zum Tier ist der Bezug zum Leben. Das macht die Qualität eines Volkes aus. Sobald sich ein Land für den Schutz der Tiere einsetzt, zivilisiert es sich.»

Die Schweizerin ist überzeugt, dass die Ägypter die Qualität haben, diesen Bezug aufzubauen. Während den rund 30 Ägyptenreisen erlebte sie zahlreiche Situationen, in denen beispielsweise Vögeln, Pferden oder Kamelen geholfen werden musste: «Die Ägypter sind sehr hilfsbereit und engagiert, wenn sie auf die Not von Tieren aufmerksam gemacht werden. Das zeigt ganz klar, dass der Spirit für die Tiere bei ihnen da ist», so Vogt weiter.

Eine Win-win-Situation
«Von einem Tierschutzgesetz in Ägypten profitieren alle – die Bevölkerung, der Tourismus in Ägypten, Touristen aus aller Welt und natürlich die Tiere», so Vogt. Tiere wie Seraphina, die heute übrigens wieder in Sakkara lebt. Nach zwei Wochen intensiver Pflege in Kairo, musste eine neue Bleibe für sie gefunden werden. Vogt spielte anfangs mit dem Gedanken, sie in die Schweiz zu nehmen. Allerdings stellte sich heraus, dass die Quarantäne ein grosser Stress für ein so schwer traumatisiertes Tier wäre und die klimatischen Unterschiede wohl zu extrem wären. Diese Strapazen wollte die Schweizerin dem Esel ersparen. Für sie stand das Wohl des Tieres immer an erster Stelle. Ihr war es wichtig, den bestmöglichen Platz für Seraphina zu finden, unabhängig davon ob in der Schweiz oder in Ägypten.

Nach intensiver Recherche kam sie in Kontakt mit Amina Abaza. Die Gründerin der Tierschutzorganisation Spare war sofort bereit, Seraphina unentgeltlich aufzunehmen. Sie besitzt mit ihrem Ehemann eine Farm in Sakkara am Rande der Wüste. Zusammen mit vier anderen Eseln lebt Seraphina heute auf ihrem Grundstück – rund um die Uhr umsorgt von Betreuern. Sie hat ihr Zuhause gefunden. «Seraphina wird mit dieser Geschichte zur Botschafterin aller gequälten Tiere dieser Welt», erklärt Esther Vogt. Dank ihrem Fall und den Konsequenzen daraus, wird es in Ägypten hoffentlich bald keine Tiere mehr geben, die so leiden müssen, wie sie es musste. Ägypten ist definitiv reif für ein Tierschutzgesetz.

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